Illustration: Immunic AG

Immunic an Studie zu Post-COVID beteiligt

Die Langzeitfolgen einer COVID-19-Infektion können sich ganz unterschiedlich ausprägen und ihre Entstehung ist noch immer nicht im Detail verstanden. Eines dieser Symptome ist die Post-COVID-Fatigue, ein ausgeprägter Erschöpfungszustand. Die Firma Immunic aus Gräfelfing bei München beteiligt sich nun mit ihrem Wirkstoff, der derzeit eigentlich gegen Multiple Sklerose in Entwicklung ist, an einer Fatigue-Studie und hat den ersten Patienten in Frankfurt/M. behandelt.

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Immunic meldete aktuell, dass der erste Patient in die von einem Prüfarzt gesponserte klinische Phase-2-Studie mit Vidofludimus Calcium bei Patienten mit Post-COVID-Syndrom aufgenommen wurde. Die Studie zum Post-COVID-Fatigue-Syndrom wird von der Goethe-Universität Frankfurt als IIT (Investigator initiated trial) gesponsert und von der deutschen Regierung gefördert. Denn: „Es besteht nach wie vor ein dringender Bedarf für die Behandlung des Post-COVID-Syndroms (PCS) und der damit verbundenen Symptome, einschließlich der körperlichen Funktion und Müdigkeit“, erklärte Prof. Dr. Maria J.G.T. Vehreschild, Leiterin der Abteilung für Infektionskrankheiten am Universitätsklinikum Frankfurt und Studienleiterin der RAPID_REVIVE-Studie. „Aufgrund seiner nachgewiesenen antiviralen und entzündungshemmenden Wirkung sowie seiner potentiellen Fähigkeit, die Reaktivierung des Epstein-Barr-Virus (EBV) zu verhindern und die Müdigkeit zu verringern, ist Vidofludimus calcium ein idealer Kandidat für unsere Studie.“

Der lange erforschte und entwickelte Wirkstoff von Immunic hat schon viele Patienten in unterschiedlichen Indikationen gesehen von Rheumatoider Arthritis, über IBD (Inflammatory Bowel Disease) und Ulcerative Colitis bis zur Multiplen Sklerose, dort aktuell in einer Phase III-Studie weit fortgeschritten. Dem Molekül werden zwei Hauptwirkorte zugeschrieben: Die Aktivierung des nuclear receptor related 1-Proteins (Nurr1), das mit neuroprotektiven Eigenschaften in Verbindung steht, sowie die Inhibierung der Dihydroorotat-Dehydrogenase (DHODH), die den geschwindigkeitsbegrenzenden Schritt der de-novo-Pyrimidinsynthese katalysiert. In früheren klinischen Studien stand die Inhibierung verschiedener Zellen des Immunsystems im Vordergrund, während die gleichzeitige breitbandige Inhibierung diverser Virus-Klassen (siehe Abbildung) über den Stopp der Synthese von Grundbausteinen für RNA oder DNA als willkommener Nebeneffekt angesehen wurde.

Reaktivierung von schlummernden Viren

Die de novo-Pyrimidinsynthese ist ein vielversprechendes Ziel für die Entwicklung wirtsspezifischer Virostatika. Im Zusammenhang mit der Post-COVID-Studie könnte die Substanz über die Hemmung der DHODH aber nicht die akute virale Replikation der Infektion, sondern eher die beständige Reaktivierung (langanhaltende Symptomatik) eindämmen. Ähnlich der Reaktivierung von schlummernden Herpesviren etwa bei der Gürtelrose-Erkrankung, könnte auch bei Post-COVID eine überstrapazierte Immunreaktion eine Rolle spielen. Die Post-COVID-Studie soll daher wichtige Daten zur Wirksamkeit von Vidofludimus Calcium bei der Unterdrückung der Reaktivierung des Epstein-Barr-Virus (EBV) und der damit verbundenen Müdigkeitssymptome liefern, einen Zusammenhang, den unabhängige Forschungsarbeiten identifizierten. Doch Immunic erhofft sich auch Erkenntnisse für den eigenen Schwerpunkt bei der Multiplen Sklerose, wo schwere Müdigkeit auch ein häufiges und schwächendes Symptom darstellt – und das EBV-Virus nach neuesten Erkenntnissen eine wichtige, vielleicht ursächliche Rolle spielt.

Im Gespräch

Um etwas mehr Licht in den klinischen Ansatz zu bringen, hat |transkript.de mit dem Chief Medical Officer, CMO, von Immunic, Dr. Andreas Mühler, gesprochen.

|transkript: Die „Erschöpfung“ beim Post-COVID-Syndrom klingt nach einer sehr subjektiven Symptomatik. Lässt sich das an verschiedenen Studienorten standardisiert erheben und in Ihre klinische Studie einfließen?

Mühler: Wir nennen diese Symptome in der Medizin „Fatigue“, weil es sich um mehr als Erschöpfung oder Müdigkeit handelt. Fatigue wird dann diagnostiziert, wenn es sich um Symptome handelt, die die Lebensqualität, den Antrieb für täglich notwendige Aktivitäten und die Möglichkeit, bestimmte Tätigkeiten auszuüben, beeinträchtigen. Wenn ich mich richtig erinnere, stammt der Ausdruck ursprünglich aus der Onkologie, wo er als Symptom bei fortgeschrittenen Krebserkrankungen oder nach Therapien auftrat. Inzwischen ist er jedoch in der gesamten Medizin anerkannt.

Es gibt auch ein „Chronic Fatigue Syndrome“, das als eigenständige Erkrankung anerkannt ist und im ICD-10-System abgebildet wird. Der Grad der Fatigue lässt sich mit standardisierten und validierten Patientenfragebögen sehr gut messen und ist damit auch als Endpunkt in klinischen Studien geeignet. Natürlich handelt es sich dabei um ein „Patient-Reported Outcome“ (PRO), also um ein vom Patienten subjektiv wahrgenommenes Symptom. In den letzten zehn Jahren haben regulatorische Behörden wie die FDA jedoch immer mehr Wert auf solche PROs gelegt, weil sich die Patienten durch eine Therapie auch wirklich besser fühlen und eine bessere Lebensqualität haben sollten. Eine Verbesserung sollte nicht nur „objektiv“ messbar sein, beispielsweise durch eine bessere Biopsie oder Endoskopie, sondern sich auch für den Patienten bemerkbar machen.

Was diese Investigator-Studie für uns bei Immunic so interessant macht und warum wir sie überstützen, liegt darin begründet, dass Fatigue bei Multipler Sklerose eines der häufigsten und bedeutendsten Symptome neben den neurologischen Beeinträchtigungen ist. Auf MS-Kongressen gibt es häufig Sessions zu Fatigue, da dieses Symptom für MS-Patienten massiv beeinträchtigend ist und es leider keine gute Therapie dagegen gibt. Eine positive Beeinflussung von Fatigue durch Vidofludimus Calcium wäre für uns ein weiteres und wichtiges Differenzierungsmerkmal gegenüber bestehenden MS-Therapien.

|transkript: Die Verbindung zwischen verschiedenen Virusinfektionen und chronischen Krankheiten war immer wieder eine Hypothese. Mit einer großen Studie konnte das Epstein-Barr-Virus schließlich als eine Ursache der Multiplen Sklerose identifiziert werden. Was bedeutet diese Erkenntnis konkret für die Klinik und die Wirkstoffentwicklung, da eine EBV-Impfung ja seit Jahren auf sich warten lässt?

Mühler: Wir unterstützen gerne dieses Konsortium an Prüfärzten in Deutschland, da der Zusammenhang zwischen Virusinfektionen, insbesondere dem Epstein-Barr-Virus (EBV), und Erkrankungen wie Post-COVID-Syndrom und Multipler Sklerose inzwischen gut untersucht und etabliert ist.

Vor etwa zwei Jahren gab es eine bahnbrechende Publikation, die eine langfristige Untersuchung an mehreren Millionen US-Militärangehörigen dokumentierte. Sie wies nach, dass eine EBV-Infektion (in Kombination mit einer unzureichenden Immunantwort) eine „notwendige Bedingung“ für die Entwicklung von Multipler Sklerose darstellt. Im Volksmund könnte man sagen, dass die EBV-Infektion MS verursacht, aber nur in einer bestimmten Gruppe von Menschen, bei denen zusätzliche Faktoren eine Rolle spielen. Damit hat die Ursachenforschung bei MS eine stabile Grundlage erhalten.

Für die Therapie von MS bedeutet dies jedoch zunächst nichts, da die Ursache einer Erkrankung lange vor ihrer Behandlung liegt. Wir wissen aus Studien, dass eine einfache antivirale Therapie die Erkrankung nicht unbedingt positiv beeinflussen kann, da zusätzlich die ausgelösten immunologischen Prozesse von Bedeutung sind. Es gibt jedoch zunehmend überzeugende Daten, dass eine Reaktivierung des „schlummernden“ EBV bei MS-Patienten viel häufiger vorkommt als bei Patienten mit anderen Erkrankungen. Außerdem scheint es, dass Immunzellen bei MS-Patienten viel häufiger auf EBV-Antigene reagieren müssen. Das legt nahe, dass die EBV-Reaktivierung den Verlauf der MS-Erkrankung durch die ständige Reaktivierung des Immunsystems beeinflussen könnte. Deshalb ist neben den neuroprotektiven und antiinflammatorischen Eigenschaften von Vidofludimus Calcium auch dessen antivirale Potenz von Bedeutung.

|transkript: Immunic war vor einigen Jahren sehr aktiv in der Entwicklung von Therapeutika gegen COVID-19, aber die Impfstoffentwicklung war schließlich schneller und effektiver. Was können Sie aus diesen Erfahrungen in die neue Untersuchung mitnehmen?

Mühler: Frau Prof. Vehreschild, eine der bedeutendsten Infektiologinnen in Deutschland und leitende Prüfärztin der neuen Investigator-Studie am Universitätsklinikum Frankfurt (Main), war damals die koordinierende Investigatorin unserer internationalen COVID-19-Studie mit Vidofludimus Calcium. Wir konnten bei hospitalisierten COVID-19-Patienten zeigen, dass der Krankheitsverlauf durch Vidofludimus Calcium positiv beeinflusst werden kann. Im Rahmen der Studie hatten wir damals auch an einen Teil der Patienten Fragebögen verschickt, um Long-COVID-Symptome zu quantifizieren. So konnten wir zeigen, dass Patienten, die Vidofludimus Calcium erhielten, deutlich seltener unter Long-COVID-Fatigue litten als diejenigen, die in der Studie ein Placebo und die Standard-COVID-Therapie erhalten hatten. Das war ein positives Signal. In der aktuellen Investigator-Studie geht es nun darum, ob PCS-Patienten, die bereits unter Fatigue leiden, von einer Therapie mit Vidofludimus Calcium profitieren können.

|transkript: Geht es in der jetzigen Untersuchung konkret um das auslösende Virus oder eher um den „Erschöpfungszustand“ als eine Symptomatik, die bei chronischen Krankheiten vielleicht nicht unerwartet ist, aber sehr diffuse Ursachen sowie tagesformabhängige, subjektive psychologische Grundlagen haben könnte?

Mühler: Wir haben präklinische Daten, die zeigen, dass Vidofludimus Calcium EBV unterdrücken kann. Der Grund, warum wir eine Studie in Post-COVID-Patienten (PCS, früher als Long-COVID bezeichnet) unterstützen, ist jedoch ein anderer: Fatigue ist das häufigste und für viele Patienten auch bedeutendste Symptom in deren PCS-Erkrankung. In mehreren unabhängigen Untersuchungen wurde festgestellt, dass das SARS-CoV-2-Virus das Immunsystem beeinflusst und dadurch andere, bereits im Körper vorhandene Viren reaktivieren kann. Dies scheint insbesondere für EBV zu gelten, mit dem laut Studien über 95 % der Bevölkerung infiziert sind. Die Reaktivierung von EBV lässt sich beispielsweise durch den Nachweis von Virus-DNA im Speichel oder Blut nachweisen. In PCS-Patienten mit Fatigue findet man konsistent einen hohen Prozentsatz solcher Nachweise. Im Gegensatz dazu ist dieser Prozentsatz bei PCS-Patienten, die keine Fatigue haben, deutlich niedriger. Das legt die Vermutung nahe, dass eine EBV-Reaktivierung (nach einer COVID-19-Infektion) mit Fatigue in Zusammenhang steht und diese nicht nur ein Erschöpfungszustand nach einer überstandenen COVID-19-Infektion ist. Die Prüfärzte in dieser Studie wollen dies genau untersuchen und gleichzeitig mit einem antiviralen Medikament wie Vidofludimus Calcium testen, ob man die EBV-Reaktivierung und damit auch Fatigue beeinflussen kann.

Übrigens untersucht Immunic dies auch in all unseren laufenden MS-Studien. Wir messen Fatigue mit einem validierten Fragebogen und prüfen den Nachweis von EBV-DNA im Speichel. So hoffen wir, zeigen zu können, dass EBV-Reaktivierung und MS-Fatigue zusammenhängen und beeinflusst werden können.

|transkript: Vielen Dank.

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